Interview mit Thomas Bayrle zu seinem Werk Nürnberger Orgie 1966

Projekt/Anlass   Konservierung und Restaurierung des Werks "Nürnberger Orgie", 1966
Interview mitThomas Bayrle (TB)
Geführt vonMaike Grün (MG)
OrtMuseum für Moderne Kunst, Frankfurt am Main
Datum06.03.1998
Anmerkungen
 
Gedächtnisprotokoll: Interview wurde nicht aufgenommen,
Fragen und Antworten werden inhaltlich wiedergegeben
DokumentDownload als PDF

Techniken

Kinetische Kunst Malerei Ölmalerei

Materialien

Elektromotor Flüssigholz Holzkitt Kasein-Emulsionsfarbe (Plaka) Kunststoff, unbestimmt Lack, unbestimmt Ölfarbe Spanplatte Sperrholz Tischlerplatte Weißleim (Ponal) Zeitschaltuhr

MG: Wo wurde die Arbeit gebaut? Hatten Sie damals ein Atelier? (Bayrles Atelier befand sich im Dachboden des damaligen Wohnhauses in Bergen-Enkheim (bei Frankfurt am Main), Anm. d. Red.) Wurden alle Arbeitsschritte von Ihnen selbst durchgeführt?

TB: Ja.

MG: Wann hat sich das geändert?

TB: Um 1970/71, als aufgrund der Siebdruck-Technik eine Arbeitsteilung notwendig wurde. Dies ging auch mit dem Wunsch einher, einige Dinge »unpersönlich« zu gestalten, so dass keine »Handschrift und Gestik« mehr ablesbar ist, sondern dass »System, Prinzip, Konzept« sichtbar werden. Ab 1967 soll der »piktogrammartige« Stil einen »Massencharakter« erkennen lassen.

MG: Haben Sie eine Konstruktionsskizze angefertigt?

TB: Nein. »Es war ein einziges Probieren«. Die Stücke wurden »angemessen und angeschraubt«. Manchmal dienten zugeschnittene Kartons als Teilmodelle.

MG: Wie kam es zur Wahl der Holzplatten? Haben Sie vorher andere Materialien ausprobiert?

TB: Es stand gleich fest, Holzplatten (in Form von Sperrholz, Pressspan - und Tischlerplatten) zu verwenden.

MG: Wo haben Sie die Holzplatten gekauft?

TB: Es wurden »Reste« besorgt, meistens in der Holzhandlung Schnell (Sperrholz Schnell, Alte Gasse 27, Frankfurt am Main).

MG: Haben Sie mit handwerklichen Betrieben zusammengearbeitet?

TB: Nein.

MG: Haben Sie die Teile selber zu gesägt, wenn ja, mit welchem Werkzeug?

TB: Hauptsächlich mit der Laubsäge, teilweise mit dem Fuchsschwanz. Die Holzleisten des beweglichen Hintergrunds zum Beispiel wurden mit der Laubsäge eingeschnitten, danach wurden die Zwischenräume ausgebrochen, so dass die Kopfleisten entstanden.

MG: Mit welchem Leim haben Sie gearbeitet?

TB: Mit normalem weißen Kaltleim (Ponal). Die Streichholzgewehre wurden mit UHU angeklebt.

MG: Welchen Kitt (wie zum Beispiel für das Ausspachteln der Spalte zwischen Rückplatte und Deckleiste) haben Sie benutzt?

TB: Einen käuflichen Holzkitt mit dem Namen »Flüssiges Holz« (Holzkitt der Firma Clou in Offenbach am Main).

MG: Aus welchem technischen Bereich kommt der Motor?

TB: Er wurde in einer Motorenfabrik für Rühr Werke in Frankfurt-Sachsenhausen, Mörfelder Landstraße, angefertigt. Teilweise wurden die Motoren für die größeren Maschinen (Mao und die Gymnasiasten, 1964, Museum Wiesbaden; Warum rasieren wir uns so gern, 1966, MMK) von Dirk Hoff modifiziert.

MG: Woher stammt die Hebearmkonstruktion, die an den Motor angebracht ist?

TB: Sie kommt größtenteils aus einem Trix-Baukasten. Auch andere, nicht aus dem Baukasten stammende, Metallteile wurden zurechtgesägt, durchbohrt etc.

MG: War die Mechanik ursprünglich manuell zu bedienen?

TB: Es gab in der Bauphase eine Schnur, mit der die Maschine zu bedienen war. Der Motor wurde sehr früh eingebaut (siehe beiliegende Grafik von 1966 mit Abbildungen (siehe Abb. von der letzten Seite der Studentenzeitschrift Diskus, Anm. d. Red.), von mehreren kinetischen Kästen. Deutlich ist an der Frontplatte der Nürnberger Orgie eine längliche Vorrichtung erkennbar, möglicherweise handelt es sich um eine Schnur oder eine Kurbel).

MG: Um welches Material handelt es sich bei der weißen Grundierung?

TB: Es ist weiße Ölfarbe.

MG: Aus welchem Material besteht die Untermalung?

TB: Die Untermalung wurde mit verschiedenfarbigen Ölfarben »aufgeschmiert«, um eine »verwilderte Ausgangssituation« zu schaffen.

MG: Gab es Vorlagen für die Malerei?

TB: Es wurden Fotos von Aufmärschen auf dem Marsfeld während NSDAP-Parteitagen als Vorlage genutzt. Die Gestaltung der Flaggen auf der beweglichen Frontklappe beruht auf einem solchen fotografischen Vorbild. Die Gestaltung des beweglichen Hintergrunds mit der Vielzahl an Köpfen soll den »Eindruck einer Luftaufnahme« vermitteln.

MG: Mit welcher Farbe wurde die Malerei ausgeführt?

TB: Hauptsächlich mit Tubenölfarbe. Als rote Farbe wurde auch ein roter Lack verwendet, zum Beispiel auf dem Ärmel und teilweise in den Flaggen.

MG: Welches Verdünnungsmittel haben Sie verwendet?

TB: Terpentinersatz.

MG: Wie haben Sie die Bajonette und die Lichter in den Helmen freigelegt?

TB: Die Ölfarbe wurde mit einem Pinsel, der vorher in Terpentinersatz getaucht wurde, wieder abgenommen, so dass die Grundierung und teilweise die Untermalung an diesen Stellen durchschimmern.

MG: Womit haben Sie gesprüht (zum Beispiel den grünen Farbton an den Innenseiten der Rückwand und der rechten Seitenplatte)?

TB: Mit einem Sprühröhrchen.

MG: Welche Farbe wurde versprüht?

TB: Verdünnte Ölfarbe.

MG: Welche Farbe befindet sich auf den Kopfleisten des beweglichen Hintergrunds?

TB: Verdünnte Ölfarbe.

MG: Handelt es sich bei dem schwarzen Anstrich (zum Beispiel Rück- und Seitenplatten) um Plakafarbe?

TB: Ja.

MG: Was ist mit der Nürnberger Orgie zwischen 1966, dem Jahr ihrer Entstehung, und 1992, dem Zeitpunkt ihres Ankaufs durch das Museum für Moderne Kunst, geschehen?

TB: Sie wurde ziemlich oft in Ausstellungen wie »Kunst und Politik« etc. gezeigt. Auch hing sie im Schaukasten von Wolfgang Felisch in Remscheid. War die Arbeit nicht ausgestellt, wurde sie mit Pappe und Tesafilm verpackt auf dem Dachboden eingelagert. Dort war sie schwankenden klimatischen Einflüssen ausgesetzt.

MG: Wie sind die alten Schraublöcher, die zum Beispiel am hinteren Rand der Seitenplatten zu sehen sind, entstanden?

TB: Die Konstruktion musste nachgebessert werden, da die Arbeit "auseinander fiel".

MG: War der Motor bzw. der Bewegungsablauf schon immer so laut?

TB: »Die sind so, wie sie sind.« »Jedes Objekt hat eigene Geräusche.« »Das Geratter und Gequietsche ist total gut.« Ursprünglich war geplant, die Soldaten des beweglichen Hintergrunds im Marschtempo laufen zu lassen, also doppelt so schnell als das Auf und Ab des Arms und der Fahnen. Die mechanische Übersetzung wurde allerdings zu kompliziert. In dem mahlenden Geräusch des Bewegungsablaufs sieht Bayrle einen psychologischen Wert, er empfindet es als »Synchronisation«.

MG: Wann wurde die Zeitschaltuhr angebracht?

TB: Früher waren die motorisierten »Maschinen«, also auch die Nürnberger Orgie, mit einem Knipsschalter in Gang zu bringen. Sie liefen so lange bis sie ausgeschaltet wurden. Das führte dazu, dass sie ohne Unterlass in Betrieb waren und sich dementsprechend stark abnutzten. Vor circa zehn Jahren hat aus diesem Grund der damalige Hausmeister der Städel Schule, Herr Taube, auf Herrn Bayrles Bitte hin eine Zeitschaltuhr eingebaut, ebenso in den Arbeiten Ajax und Mao. (Die manuelle Bedienung der Objekte durch Museumsbesucher hatte weitere unliebsame Folgen. So wurde Ende der 70er Jahre die Arbeit Mao und die Gymnasiasten im Museum Wiesbaden samt Dübel aus der Wand gerissen, wie Erich Gantzert-Castrillo mitteilte).

MG: Welche Art Aufkleber befand sich auf der Frontplatte links unten?

TB: Höchstwahrscheinlich war es ein Namensaufkleber. Möglicherweise wurde er anlässlich der Ausleihe an die Galerie Staeck, Heidelberg, dort aufgeklebt.

MG: Wer hat die Retuschen, wie sie zum Beispiel auf dem Arm oder auf dem Frontbrett zu sehen sind, aufgebracht?

TB: Herr Bayrle selbst.

MG: Gab es ein besonderes Ereignis, das zu den Schäden (partielle Ausbrüche der Farbschicht, zum Beispiel am Arm; sowie Ausbrüche im Bildträger, zum Beispiel Frontplatte Ecke unten links) geführt hat?

TB: Während der oben erwähnten Ausleihen und den dadurch bedingten Transporten wurde nicht allzu pfleglich mit der Arbeit umgegangen.

MG: Thomas Bayrles Standpunkte zu den einzelnen Schadensbildern und zur Frage des jeweiligen konservatorischen bzw. restauratorischen Vorgehens. Wie stehen Sie zu den alten Bohrlöchern und zu den Ausbrüchen im Holz (zum Beispiel Frontplatte Ecke unten links)?

TB: Sie können zugekittet und eingetönt werden.

MG: ... dem Spannungsriss zwischen der Rückplatte und der Deckleiste?

TB: Diese Alterserscheinung wird als »Schaden« empfunden. Sie ist wie »ein Riss im Himmel« da der Innenraum des Kastens einen Ort unter freiem Himmel darstellt. Die Soldaten marschieren auf einem Feld von rechts nach links, vom »Hell ins Dunkel, vom Optimismus in die Katastrophe«.

MG: ... den alten Retuschen?

TB: Man soll »organisch drübergucken« können. Am Arm sollten die Retuschen überarbeitet werden, auf der Frontplatte werden sie als nicht störend empfunden.

MG: ... Fehlstellen in der Malschicht?

TB: Sollen retuschiert werden, wenn sie zu auffällig sind.

MG: ... den Bereibungen bzw. dem Farbabrieb im Bereich des schwarzen Anstrichs (zum Beispiel an den Seitenplatten und der Rückplatte)?

TB: Diese Flächen würde er »mit mattem Schwarz nachmalen«. Unbedingt sollen die Ausbrüche im schwarzen Anstrich an den vorderen Seitenkanten, in denen die weiße Grundierung sichtbar wird, eingetönt werden.

MG: … Schmutzablagerungen?

TB: Bayrle stimmt der Entfernung von losem Staub, Haaren etc. zu. Er erklärt sich auch mit der Entfernung von gebundenem Schmutz einverstanden. Dazu empfiehlt er »mit Öl versetztes Terpentin«. Die Verschmutzungen erfüllen hier keine »Funktion«, wie zum Beispiel der »Auratische Dreck« bei Joseph Beuys.

MG: ... dem Schalter?

TB: Er sei »nicht der hübscheste«, jedoch »die Leute sollen ihn finden« und er »gehört zum Kinokasten«. Bayrle empfiehlt, die Fehlstellen im schwarzen Lack auszubessern.

MG: ... der Verwerfung der Bretter?

TB: Die Verwerfung wird akzeptiert, wenn sie nicht zunimmt. An dem Übergang von der linken Seitenleiste zur Frontplatte würde er rückseitig einen »Winkel anbringen«, um die nach innen verzogene Seitenleiste wieder zu begradigen.

MG: ... Rissbildungen in der oberen Schicht der Bretter?

TB: Diese werden akzeptiert, wenn sie nicht zunehmen.

MG: ... den Resten des Aufklebers?

TB: Diese können gerne abgenommen werden.

MG: ... der Abnutzung des Armes im Bereich der Reibungsstelle?

TB: Hier würde er einer »Ausbesserung« zustimmen.

MG: ... den abgefallenen Streichholzgewehren?

TB: Sie sollen wieder angeklebt werden.

MG: ... in sich gespaltenen Streichhölzern?

TB: Der Einsatz von gespaltenen Streichhölzern war »malerisch gemeint«.

v